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Merkel berät mit Ministerpräsidenten: Diese Lockerungen sind möglich

Mit Spannung wird das Ergebnis der Telefonkonferenz von Bundeskanzlerin Angela Merkel und den Ministerpräsidenten der Länder am Mittwoch erwartet. Wie wird es nun weitergehen? Die bisherigen Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus gelten laut gemeinsamer Absprache zunächst bis zum kommenden Wochenende. Ein Überblick über die möglichen Vorgehensweisen.

Anfang April vereinbarte Kanzlerin Angela Merkel mit den Ministerpräsidenten der Länder, dass die Kontaktbeschränkungen und Läden-, Kita- und Schulschließungen bis zum 19. April gelten. Seitdem hat sich die Bundesregierung immer wieder mit den Vertretern der Landesregierungen über den Erfolg der Maßnahmen ausgetauscht und beraten. Nachdem die meisten Bürger die Kontaktverbote eingehalten haben und den weitgehenden Shutdown des öffentlichen Lebens ertragen haben, sehnen sich viele nach Lockerungen.

Die Bundesregierung steht vor einer schwierigen Entscheidung: Einerseits soll das Virus weiter bekämpft werden und andererseits soll die Wirtschaft nach und nach wieder hochgefahren werden und ein Schritt in Richtung Normalität gemacht werden.

Leopoldina-Empfehlungen und NRW-Studie als Grundlage

Am Mittwoch besprechen die Kanzlerin und die Landeschefs den weiteren Plan. Eine wichtige Grundlage der Beratungen dürften die am Montag vorgelegten Empfehlungen der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina aus Halle sein. Neben den Leopoldina-Empfehlungen liegt Merkel und den Regierungschefs unter anderem auch das Papier eines von NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) eingesetzten Expertenrats vor.

Zuerst die Grundschüler?

Die Leopoldina-Experten raten zu einer schrittweisen und nach Jahrgangsstufen differenzierten Wiedereröffnung von Schulen, Hochschulen und anderen Bildungseinrichtungen. Alle Maßnahmen müssten hier auf längere Zeit unter Einhaltung der Vorgaben zu Hygiene, Abstand, Mund-Nasen-Schutz, Tests und Quarantäne umgesetzt werden.

Ihre Empfehlung, zuerst Grundschulen und die Sekundarstufe 1 (Haupt-, Real- und Gesamtschulen bis Klasse 10 sowie Gymnasien bis einschließlich der Klassen 9 beziehungsweise 10) zu öffnen, begründen sie damit, dass Jüngere mehr auf persönliche Betreuung, Anleitung und Unterstützung angewiesen seien.

In Grundschulen müsse mit deutlich reduzierten Gruppengrößen von maximal 15 Schülern gestartet werden, um das Abstandsgebot besser einhalten zu können. Auch zeitversetzter Unterricht sei möglich.

Universität von zuhause aus

Entsprechend dieser Logik empfehlen die Experten auch bei Kitas und Kindergärten einen Betrieb mit reduzierten Gruppengrößen von maximal fünf Kindern (5- und 6-Jährige) je Raum am Übergang zur Grundschule. Weil kleinere Kinder sich nicht an Distanzregeln und Schutzmaßnahmen hielten, sollen die Kitas für sie bis zu den Sommerferien im Notbetrieb bleiben – dies solle auch für die Horte gelten.

In der Sekundarstufe 1 solle der Unterricht mit jenen Stufen beginnen, bei denen zentrale Abschlussprüfungen stattfänden – bei allen weiteren Jahrgängen wird eine Konzentration auf Kernfächer (Deutsch, Mathematik, Fremdsprachen) vorgeschlagen. An den Universitäten und Hochschulen solle das Sommersemester „weitgehend als online/home-learnig-Semester zu Ende geführt werden“.

In der NRW-Studie heißt es, das Recht auf Bildung der Kinder und Jugendlichen sei ein Grundrecht. „Bildungsangebote sollten daher so schnell wie möglich – in verantwortbarem Umfang und unter Einhaltung hoher Schutzstandards – ermöglicht werden“. Es wird zur Differenzierung der Unterrichtsformate zwischen Ober-, Mittel- und Unterstufen sowie zu zeitversetztem Unterricht geraten.

So soll sich das öffentliche Leben ändern

Um die Wirtschaft wieder zu aktivieren, könnten zunächst etwa der Einzelhandel, das Gastgewerbe und Behörden öffnen, schlagen die Leopoldina-Experten vor. Auch private und dienstliche Reisen sowie gesellschaftliche, kulturelle und sportliche Veranstaltungen könnten wieder stattfinden. Auch hier sollten jedoch die Voraussetzungen gelten, dass es wenige Neuinfektionen gebe, bekannte Hygieneregeln eingehalten werden und Krankenhäuser gut gerüstet sind. Die Experten sprechen sich zudem für eine Maskenpflicht etwa in Bussen und Bahnen aus.

Die NRW-Experten schreiben, in der Gastronomie seien strikte Vorgaben denkbar, was den Tischabstand oder die Personenzahl angehe. „Großveranstaltungen wie Fußballspiele der Bundesliga mit Zuschauern, aber auch Messen und Kongresse werden auf absehbare Zeit nicht stattfinden können“, heißt es weiter. Kulturelle Angebote wie Konzerte oder Theatervorstellungen könnten gegebenenfalls mit entsprechenden Einschränkungen wieder stattfinden.

Mund-Nasen-Schutz, Tests, Verwendung von mobilen Daten

Bezüglich der weiteren Pandemiebekämpfung warnen die Leopoldina-Experten: „In der Phase der allmählichen Lockerung darf es nicht wieder zu einem raschen Anstieg der Infektionszahlen kommen.“ Als wirksamste Maßnahmen beschreiben sie das Tragen von Mund-Nasen-Schutz, flächendeckendes Testen, die Verwendung mobiler Daten, die Identifizierung der Infizierten sowie die Entwicklung von Therapien. Dies sei notwendig, um das System zu stabilisieren, bis ein wirksamer Impfstoff gefunden sei.

Die NRW-Experten sagen ebenfalls klar: „Das Ziel der Eindämmung der Pandemie bleibt bestehen.“ Mit Blick auf neuere Erkenntnisse über das Virus solle aber damit begonnen werden, die Maßnahmen differenzierter und flexibler zu steuern.

Auch die Expertengruppe aus NRW spricht sich unter anderem für den Einsatz von Mobiltelefon-Apps ein, um Infektionsketten lückenlos verfolgen zu können. Um den Einstieg in die „Normalisierung“ zu steuern, müsse für eine breite Informationsbasis etwa auch die Zahl der Tests auf bis zu 500 000 pro Tag erhöht werden.

Österreich als Vorbild

Nachbarland Österreich hat sich bereits an Lockerungen der Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus herangewagt. Möglicherweise werden Merkel und die Ministerpräsidenten in ihren Gesprächen das Vorgehen von Österreichs Kanzler Sebastian Kurz miteinbeziehen. Am Dienstag öffneten im Nachbarland nach vierwöchiger Schließung zahlreiche Geschäfte erstmals wieder. Von der Lockerung profitierten zunächst kleine Läden mit weniger als 400 Quadratmetern Verkaufsfläche sowie die Bau- und Gartenmärkte.

Erst in einer zweiten Stufe sollen vom 2. Mai an alle Geschäfte in Österreich wieder öffnen dürfen, dazu zählen auch die Friseure. Von Mitte Mai an könnten die Lokale und Restaurants folgen.

Quelle: FOCUS