Washington – Den Namen seines Nachfolgers erwähnt er mit keiner Silbe. Doch als Barack Obama nach zwölf Minuten seine Videobotschaft beendet, besteht kein Zweifel daran, gegen wen er die Amerikaner mobilisieren will: „Die Krise erinnert uns daran, wie wichtig gute Regierungarbeit ist“, hat der Ex-Präsident gesagt: „Gerade jetzt ist es wichtig, Anführer zu haben, die informiert und ehrlich sind und die die Menschen zusammenbringen, statt sie auseinanderzutreiben.“ Das klingt so ziemlich nach dem Gegenbild von Donald Trump.
Lange hat Obama das öffentliche Rampenlicht gemieden. Der 58-Jährige, so heißt es, schreibe in seinem Haus im vornehmen Washingtoner Stadtteil Kalorama an seinen Memoiren. Zum Vorwahlkampf der Demokraten schwieg der mit Abstand populärste Politiker der Partei bemerkenswert konsequent – bis zu diesem Dienstag, an dem er im dunklen Sakko und mit offenem Hemd vor einem Bücherregal zur Unterstützung von Joe Biden aufruft, der acht Jahre lang sein Stellvertreter gewesen war: „Joe hat den Charakter und die Erfahrung, uns durch unsere dunkelsten Zeiten zu leiten“, wirbt Obama.
Ritterschlag für Joe Biden
Für Biden kommt der Ritterschlag des Elder Statesman gerade zur rechten Zeit. Nach einem von organisatorischem Chaos und persönlichen Fehlleistungen geprägten Start hat sich das Bewerberfeld der Demokraten in den vergangenen Wochen rasant gelichtet. In der vorigen Woche ist mit Bernie Sanders der letzte Wettbewerber ausgestiegen. Am Montag rief der linke Senator ganz offiziell zur Stimmabgabe für Biden auf. Damit steht dieser vier Monate vor dem für August geplanten Nominierungsparteitag im Grunde als Trump-Herausforderer fest. Die Wiederholung des quälenden innerparteilichen Streits, der die Kandidatur von Hillary Clinton 2016 überschattete, scheint abgewendet zu sein.
Doch der ehemalige Vizepräsident agiert in einem ungewohnten und schwierigen Umfeld. In der Corona-Krise gibt es keine Kundgebungen, die nächsten Vorwahlen sind in den Juni vertagt. Während Amtsinhaber Trump die Pandemie zu einer täglichen, oft mehr als zweistündigen Ego-Show nutzt, hockt Biden im Keller seines Hauses in Delaware und sendet aus einem improvisierten Fernsehstudio mehr oder weniger professionelle Videobotschaften, die einen begrenzten Widerhall finden.
Barack Obama für viele Amerikaner ein Popstar
Barack Obama hingegen ist für viele Amerikaner ein Popstar, dessen Beliebtheit allenfalls von seiner Frau Michelle übertroffen wird. Mehr als sechs Millionen Mal wird sein Clip binnen weniger Stunden abgespielt. Eigentlich, berichten US-Medien, habe Obama mit Biden gemeinsam auftreten wollen, in einem Saal voller begeisterter Anhänger, mit gemeinsam hochgerissenen Armen auf der Bühne. Das ist in Zeiten des verordneten Abstandhaltens ausgeschlossen. Doch der ruhige Auftritt des ergrauten Politikers hat eine ganz eigene, eindrückliche Wirkung: Nach drei Jahren der immer lauteren, schrilleren, aggressiveren Töne erspürt man plötzlich, wie wohltuend ein Präsident sein kann, der reflektiert und zivilisiert über Inhalte redet und das Land zu einen sucht.
Ganz so untätig, wie es äußerlich wirkte, scheint Obama im übrigen politisch in den vergangenen Wochen nicht gewesen zu sein. Nach amerikanischen Medienberichten hat er sich hinter den Kulissen schon beim Rückzug von Pete Buttigieg und Amy Klobuchar engagiert. Mit Sanders, zu dem er ein eher kühles Verhältnis hatte, soll er zuletzt vier Mal über dessen Ausstieg gesprochen haben. Ideologisch liegt der moderate Biden sicher eher auf Obamas Linie. Trotzdem soll Obama anfangs die Kandidatur des 77-Jährigen mit einer gewissen Skepsis verfolgt haben. Vor allem aber hielt er sich offenbar zurück, um nach erbitterten intenen Kämpfen am Ende die Partei wieder zusammenführen zu können.
Joe Biden mit besten Chancen Donald Trump vom Thron zu stürzen
Genau diese Rolle nimmt er nun ein. Er wirbt engagiert für den Menschenfreund Biden und preist dessen Arbeit in seiner Regierung an, doch zugleich nennt er den unterlegenen Sanders ein „amerikanisches Original“, das den Hoffnungen und Sorgen der Arbeiterschaft eine Stimme gegeben und viele junge Anhänger mobilisiert habe. Dass Obama wenig von den radikalen Lösungsansätzen des bekennenden Sozialisten hält, hat er öffentlich erklärt. Trotzdem begrüßt er nun, dass die Partei nach links gerückt sei und betont, das amerikanische System brauche „echte strukturelle Veränderungen“ – ein Zitat der ebenfalls ausgeschiedenen Präsidentschaftsbewerberin Elizabeth Warren.
Nach allen Umfragen hat Joe Biden im Vergleich zu seinen internen Wettbewerbern die besten Chancen, Donald Trump zu schlagen. Aber der Ex-Vizepräsident hat auch unbestreitbare Schwächen. Seine gelegentlichen Konzentrationsschwächen gehören ebenso dazu wie seine überschaubaren rhetorischen Fähigkeiten und seine begrenzte Ausstrahlung auf jüngere Wähler. Insofern ist es bemerkenswert, dass Obama den einstigen Stellvertreter nicht als einsamen Helden, sondern eher als Kopf einer größeren Koalition schildert, die die demokratischen Werte gegen eine „Politik der Korruption, der Gleichgültigkeit, der Selbstfixierung, der Desinformation, der Ignoranz und der offenen Gemeinheit“ verteidigen soll.
„Unterstützt uns!“, fordert Obama am Ende: „Unterstützt Joe!“ Arbeitsgruppen von Sanders und Biden arbeiten bereits an gemeinsamen Positionen zu wichtigen Politikfeldern. Und Obamas Appell klingt so, als sei dies auch nicht der letzte Auftritt des Ex-Präsidenten im Wahlkampf gewesen.
Quelle: Kölner Stadtanzeiger