Das Schwarze Loch im Zentrum unserer Galaxis war bislang friedlich. Doch es gibt Anzeichen, dass der Appetit des Masse-Kolosses auf Materie zugenommen hat. Die Deutung der jüngsten Beobachtungen ist allerdings noch umstritten.
Wie in allen großen Galaxien verbirgt sich auch im Zentrum der Milchstraße ein supermassereiches Schwarzes Loch. Im intergalaktischen Vergleich ist es ein schlafender Riese: Nur selten hat es Appetit auf Sterne, Gaswolken und Asteroiden, entsprechend wenig Strahlung empfangen Astronomen aus seiner Umgebung. Seit ein paar Jahren scheint sich das zumindest ein wenig zu ändern, wie Emmanuelle Mossoux von der Universität Lüttich und ihre Kollegen aus Belgien und Frankreich in einem in der Fachzeitschrift „Astronomy & Astrophysics“ erscheinenden Aufsatz berichten . Im Röntgenlicht hat die Aktivität des vier Millionen Sonnenmassen schweren Kolosses eindeutig zugenommen.
Mossoux und ihr Team verwendeten Archivdaten dreier im Weltall stationierter Röntgenteleskope, der amerikanischen Satelliten Chandra und Swift sowie des europäischen XMM Newton, um die Veränderung der Röntgenaktivität der Quelle Namens Sagittarius A* (sprich „A-Stern“) im Sternbild Schütze zu untersuchen. Genau an dieser Quelle, rund 26.000 Lichtjahre von der Erde entfernt, befindet sich das zentrale Schwarze Loch der Milchstraße. Zwar sendet es selbst kein Licht aus, doch Astronomen beobachten, wie es Sterne und Wasserstoffwolken durch seine Gravitationskraft auf enge Umlaufbahnen zwingt. Kommt ihm ein Himmelskörper zu nahe, wird er durch die extremen Gezeitenkräfte zerrissen und stürzt auf Nimmerwiedersehen in den Gravitationsschlund des Schwarzen Lochs – nicht ohne dabei einen letzten Todesschrei in Form elektromagnetischer Strahlung auszusenden.
So interpretieren die Wissenschaftler auch die immer wieder aufflackernde Röntgenstrahlung aus Sagittarius A*. Von 1999 bis zum Jahr 2018 beobachteten sie insgesamt 121 solcher Röntgenflares. Weil die Teleskope nicht permanent in Richtung von Sagittarius A* ausgerichtet sind, werden nicht alle Ausbrüche aufgezeichnet. Die tatsächliche Rate lag hochgerechnet bei einem Röntgenausbruch pro Tag, zumindest bis zum Jahr 2014. Danach hat sie sich der Studie zufolge verdreifacht. Das bestätigt eine Arbeit der gleichen Autoren aus dem Jahr 2017; die neue Studie fügt der Analyse aber nun Daten aus den Jahren 2016 bis 2018 hinzu. Ein gesteigerter Appetit des Lochs ist aber nur eine mögliche Interpretation dieses Resultates, erklärt Mossoux auf Nachfrage. Auch eine plötzliche Änderung der Konfiguration seines Magnetfelds könnte Röntgenausbrüche auslösen: „Mit unseren Daten allein ist es unmöglich, den zugrunde liegenden physikalischen Prozess zu ermitteln. Dazu wäre eine Untersuchung in anderen Wellenlängen, etwa im Nahinfrarot- oder im Radiobereich notwendig.“
Materieströme versperren den Blick
Beobachtungen mit dem Very Large Telescope in Chile und dem 10-Meter-Keck-Teleskop auf Hawaii hatten im April und Mai 2019 tatsächlich eine erhöhte Aktivität von Sagittarius A* im Nahinfrarotbereich festgestellt. Eine Analyse älterer Beobachtungsdaten in diesem Wellenlängenbereich steht noch aus. Neueste Röntgenmessungen des Swift-Satelliten aus dem Jahr 2019 zeigen jedenfalls, dass das Schwarze Loch munter weiter strahlt. Für eine detaillierte Analyse der 2019er-Daten ist es aber noch zu früh; weil die entsprechenden Resultate von Chandra und XMM Newton den Forschern noch nicht zur Verfügung standen.
Das Ergebnis ist interessant, seine Signifikanz aber noch begrenzt, meint Heino Falcke von der Radboud-Universität im niederländischen Nimwegen, der selbst an der Studie nicht beteiligt war. Wie Mossoux hält er weitergehende Schlüsse noch für verfrüht: „Röntgenstrahlung reagiert sehr empfindlich auf kleinste Änderungen in den Plasmaströmen um das Schwarze Loch. Auch am Meer gibt es kurzfristig mal ein paar stärkere Wellen und dann wieder eine etwas ruhigere Phase. Interessanter ist es, wenn der Seespiegel steigt, wenn also mehr Material ins schwarze Loch fällt. Dafür gibt es noch keine Anzeichen.“
Falcke ist einer der führenden Wissenschaftler des Event Horizon Telescope, das im April 2019 das Abbild des Schwarzen Lochs der Galaxie Messier 87 veröffentlicht hat. Eine Zunahme der Akkretion, also des Einströmens neuer Materie in das Loch, könnte ihren Plan erschweren, bald auch ein Bild des Massenmonsters der Milchstraße zu erstellen: „Wenn die Akkretionsrate stark anstiege, könnte das Plasma undurchsichtiger werden und uns den Blick auf das Schwarze Loch versperren. Aber so weit sind wir zum Glück noch nicht.“
Auf das zweite Bild eines Schwarzen Lochs wird die Menschheit ohnehin etwas länger warten müssen als geplant: „Die Covid-19-Pandemie betrifft auch uns stark“, berichtet Falcke. „Die 2020-Kampagne ist schweren Herzens abgesagt, mehr und mehr Teleskope haben ihren Betrieb heruntergefahren. Es gibt auch in diesen Zeiten wichtigere Aufgaben, als in den Himmel zu schauen. Der ist nächstes Jahr auch noch da.“
Quelle: faz.net